Blog | Erziehungsdiktatur: Wie aktuell sind die Ideen von Johann Gottlieb Fichte für die Politik von heute?

Erziehungsdiktatur: Wie aktuell sind die Ideen von Johann Gottlieb Fichte für die Politik von heute?

Wer die aktuelle Debatte in Deutschland verfolgt und mit der deutschen Geistesgeschichte vertraut ist, kann nicht umhin, eine Gedankenwelt wiederzufinden, die vor über zweihundert Jahren der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) vorgestellt hat. Eine autoritäre Erziehung, um den Bürgern staatlicherseits gemeinsame Werte und Solidarität zur Erreichung des Gemeinwohls einzupflanzen, beherrschen heute genauso das Meinungsbild wie die Idee Fichtes von einer möglichst autarken Wirtschaft ohne ausländische Abhängigkeiten.

Die Vorstellungen Fichtes haben im deutschen Bildungsbürgertum tiefe Wurzeln geschlagen und das politische Denken in Deutschland in den vergangenen zweihundert Jahren geprägt. Bis heute tut sich in Deutschland der Wirtschaftsliberalismus schwer, überzeugte Befürworter zu finden. Zu dominant ist immer noch ein Denken, wonach es die Rolle des Staates sei, die Wirtschaft zu beherrschen und die Menschen zur Solidarität zu erziehen.

In der Schrift “Reden an die deutsche Nation” (1808) gebraucht Fichte den Begriff “Erziehungsdiktatur” als eine Form der staatlichen Autorität, die notwendig sei, um eine einheitliche nationale Identität und ein gemeinsames Wertesystem zu schaffen. Eine solche „Erziehungsdiktatur“ sei notwendig, um Deutschland als eine starke Nation zu formieren. Möglichst alle Bürger sollen sich mit denselben Werten und Grundsätzen identifizieren. Zu diesem Ziel muss der Staat eine umfassende Kontrolle über die Bildung und das Erziehungssystem besitzen. Der Staat muss die Menschen von Kind an zu Bürgern erziehen. Ziel der Erziehungsdiktatur ist die Schaffung einer nationalen Identität und eines gemeinsamen Wertesystems. Allerdings räumt Fichte ein, dass die Menschen nicht bloß Gehorsamkeit gegenüber dem Staat lernen sollen, sondern sie auch zu selbstständig denkenden Staatsbürgern erzogen werden sollen, die fähig seien, sich aktiv an der Gestaltung ihres Staates zu beteiligen. Die Menschen müssen im Interesse des Gemeinwohls zur Solidarität erzogen werden. Dieser Prozess ist kontinuierlich und umfasst das ganze Leben und alle Bereiche. Die Erziehungsdiktatur ist dauerhaft eine staatliche Aufgabe.

In seiner Schrift “Der geschlossene Handelsstaat” (1800) setzt sich Johann Gottlieb Fichte mit der Frage auseinander, wie ein Staat seine Unabhängigkeit und wirtschaftliche Autarkie sichern könne. Dabei entwirft er die Vision eines autarken Staates, der durch einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf und eine auf Selbstversorgung ausgerichtete Produktion seine Unabhängigkeit bewahren kann. 
Fichte kritisiert den Freihandel, der eine Abhängigkeit von anderen Staaten und somit eine Schwächung der eigenen Wirtschaft zur Folge hätte. Er fordert einen Staat, der seine Wirtschaftskraft durch eine autarke Produktion und eine umfassende Kontrolle des Handels und der Märkte gewährleistet. 

“Der geschlossene Handelsstaat” soll so durch einen autonomen Wirtschaftskreislauf und eine auf Selbstversorgung ausgerichtete Produktion gekennzeichnet sein. Um den Wohlstand und die Unabhängigkeit zu sichern, muss der Staat gemäß den Vorstellungen Fichtes die Wirtschaft umfassend kontrollieren und reglementieren. Fichte fordert Preiskontrollen und andere Regulierungen, um eine gerechte Verteilung der Güter zu gewährleisten. Der geschlossene Handelsstaat hat eine starke nationale Identität zur Voraussetzung, die Solidarität und Loyalität der Bürger einfordert. Nicht nur das Erziehungssystem sei an diesem Zweck auszurichten, sondern die Regierung muss in diesem Sinn die gesamte Bildung, die Kunst und die Kultur einbeziehen.

Fichte betrachtet es als die Aufgabe des Staates, eine eigene Industrie aufzubauen. Handelsbeschränkungen sollen die heimische Industrie vor ausländischer Konkurrenz schützen. Um den „geschlossenen Handelsstaat“ zu verwirklichen, so Fichte, ist eine starke Regierung notwendig. Es ist der Staat, der nach seiner Ansicht für das Gemeinwohl sorgt. Zu diesem Zweck ist die Staatsmacht berechtigt, die Einzelinteressen zu beschneiden. Erziehung kommt ins Spiel, um eine „freiwillige“ Unterwerfung des Einzelnen zu erreichen.

Wenn man sich die Programme der politischen Parteien der Bundesrepublik anschaut, stellt man fest, dass die Gedankenwelt Fichtes durchwegs heute noch präsent ist. Schaut man weiter in die Geschichte zurück, wird man feststellen, dass es hier eine bis ins 19. Jahrhundert zurückgehende Kontinuität gibt. Zwar wurde zur Zeit Fichtes auch schon Adam Smith in Deutschland rezipiert, aber der Gedanke eines deutschen Sonderwegs hat gegenüber den Ideen des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus dominiert. Von einigen Ausnahmen abgesehen, sind die Wirtschaftswissenschaften in Deutschland interventionistisch ausgerichtet. Nicht ohne Grund nennt sich die größte deutsche Vereinigung der Wirtschaftswissenschaftler immer noch „Verein für Socialpolitik“.

Das Wirtschaftsbild von Fichte ist vollkommen theoretisch. Der Dreh- und Angelpunkt seines Modells ist die Annahme, dass der Staat imstande sei, das Gemeinwohl zu erkennen und durchzuführen. Sobald diese Annahme wegfällt, bricht das Gedankengebäude zusammen. Praktisch hat dies die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht nur einmal bestätigt. Das verhindert aber nicht, dass Fichtes Ideen weiterhin wilde Blüten treiben. Fichtes Ideen zu einer Erziehungsdiktatur und einem geschlossenen Handelsstaat sind zutiefst autoritär. Ob man will oder nicht, ein solcher Ansatz führt unweigerlich zu einem totalitären Weltbild. Der Ausgangspunkt dieser Denkweise ist der liberalen Gedankenwelt diametral entgegengesetzt. Aber nicht nur das. Fichtes Vorstellungen zur Wirtschaft zeugen von einer extremen Abgehobenheit gegenüber der wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit.

So sehr sich die Ideen Fichtes in der Gedankenwelt wirtschaftsferner Kreise festgeklebt haben, so harsch ist deren Zusammenstoß mit der Realität. Selten sind die Gläubigen aber bereit, ihre Ansichten und Absichten zu ändern, wenn sie an der Wirklichkeit scheitern. Statt das Denken den Fakten anzupassen, fahren die zu Politikern gewordenen Fichteschüler fort, sich umso starrköpfiger der Wirklichkeit entgegenzustellen.  

Die gegenwärtige Regierungspolitik bietet für diesen Kampf gegen die Lebenswirklichkeit Anschauungsmaterial im Übermaß. Wer genauer zuhört, kann aus den Worten führender Parteipolitiker manchmal fast wortwörtlich Johann Gottlieb Fichte heraushören. Bei den führenden Medien finden diese Erklärungen dann ihre ureigenste Echokammer.  

Dr. Antony P. Mueller
ist seit März 2023 Wissenschaftlicher Beirat der Partei DIE LIBERTÄREN.

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