Blog | Ohne freiwillige Zustimmung sind Steuern und Abgaben nicht rechtmäßig

Ohne freiwillige Zustimmung sind Steuern und Abgaben nicht rechtmäßig

Die Steuer- und Abgabenpolitik ist heute Teil einer allumfassenden Gesellschaftspolitik geworden, in die alles hineingepackt wird, was der jeweiligen politischen – vor allem parteipolitischen — Opportunität entspricht. Die Besteuerung dient als Handhabe, Sondergruppen Vorteile in Aussicht zu stellen. Dabei kommt es weniger auf die tatsächlichen Effekte der Maßnahme an, sondern es geht darum, für die Partei Geldzuwendungen und letztlich Stimmen einzuheimsen.

Es erfüllt die gleiche Funktion, wie die Ausgabenpolitik. Weder bei der Besteuerung noch bei den Staatsausgaben geht es um das Gemeinwohl. Sie sind Instrumente zum Machtgewinn und zum Machterhalt.
So befriedigt man die vom Klima- und Umweltschutz begeisterten Wähler mit der Erhebung von Steuern und anderen Abgaben oder Vorschriften, die anscheinend den Wünschen dieser Zielgruppe dienen. Die tatsächliche Wirkung solcher Maßnahmen, die meist eher das Gegenteil zur Folge haben, wird nicht erfasst. Steuerpolitik ist ein „abgekartetes“ Spiel, das darin besteht, vermeintliche Vorteile für einzelne Personengruppen zu versprechen, die zulasten der anonym bleibenden Gesamtheit der Bürger gehen.

In diesem perversen Konkurrenzkampf weitet sich die parteipolitische Vorteilsgewährung immer weiter aus. Der Profiteur dieses Theaters ist die mit diesem System engstens verwobene Technokratie. Kaum ein anderer staatlicher Bereich absorbiert so viel spezielle Sachkunde wie das Steuersystem, ohne dass diese Kenntnisse für die Gesamtheit der Bürger irgendeinen Nutzen hätten. Im Gegenteil.
So präsentiert sich heute das Steuerrecht in einer verwirrenden Vielfalt und Widersprüchlichkeit. Das System der Besteuerung, so wie es derzeit der Fall ist, ist irrational, widersprüchlich, prinzipienlos und illegitim. Es sei dem Leser überlassen, sich auszudenken, wie viel von den Kosten dieses politökonomischen Spektakels man besser für wertvollere Wohlstandszwecke nutzen könnte.
Ansätze der wissenschaftlichen Rechtfertigung des modernen Steuersystems sind gescheitert. Das sogenannte „Leistungsfähigkeitsprinzip“, das an der Einkommens- und Vermögenshöhe den Steuertarif bemessen will, ist von vornherein unzureichend, weil es die Ausgabenseite außer Acht lässt. Andererseits scheitert das „Äquivalenzprinzip“, wonach die Belastung mit Abgaben den Vorteilen durch die Staatstätigkeit entsprechen soll, weil es keine objektive Methodik gibt, die Zurechnung zu bestimmen.
Da sowohl der Grundsatz der Leistungsfähigkeit wie das der Äquivalenz nicht sinnvoll angewendet werden können, verliert die Besteuerung in ihrer heute praktizierten Form ihre rationale Begründung.

In seinen „Finanztheoretischen Untersuchungen“ (1896) hat der bedeutende schwedische Nationalökonom Knut Wicksell (1851–1926) bereits auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht und auch einen Lösungsansatz entwickelt.

Dieser Grundsatz lautet, dass jedwede staatliche Einkommenserhebung und Ausgabentätigkeit nur dann gerechtfertigt ist, wenn die jeweilige Maßnahme von den Betroffenen bewilligt wird.

Wenn keine Einstimmigkeit vorliegt, erklärt Knut Wicksell in seinen „Finanztheoretischen Untersuchungen“ (S. 113 f.), so liegt …. ein aposteriorischer und der einzig mögliche Beweis vor, dass die fragliche Staatstätigkeit der Gesamtheit doch nur einen, dem notwendigen Opfer nicht entsprechenden Nutzen bringen würde.“

Wenn kein Konsens zu erhalten ist, muss die jeweilige Staatstätigkeit verworfen werden.

Mit dem Prinzip der Einstimmigkeit hat Wicksell das einzig mögliche Vernunftkriterium für die Rechtmäßigkeit der Besteuerung bestimmt. Das wechselseitige Einvernehmen über die Beschlüsse dient als Garantie gegen ungerechtfertigte Steuerlastverteilung. Nicht nur das: Einstimmigkeit und Freiwilligkeit sind auch ein wirksamer Damm gegen die Ausgabenflut und damit gegen die um sich greifende Steuer- und Abgabenbelastung gewesen, wie sie sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Bahn gebrochen hat.

Wir erleben heute das, was Knut Wicksell in seinen „Finanztheoretische Untersuchungen“ (S. 122) kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts vorausgesehen hat: Wenn einmal die unteren Klassen definitiv in den Besitz der gesetzgebenden und steuerbewilligenden Gestalt gelangt sind, wird … die Gefahr vorliegen, dass sie eben so wenig eigennützig verfahren werden, wie die Klassen, welche bisher die Macht in den Händen hatten“. Sie werden „die Hauptmasse der Steuern den besitzenden Klassen auflegen und dabei vielleicht in der Bewilligung der Ausgaben, zu deren Bestreitung sie selbst nunmehr nun wenig beitragen, so sorglos und verschwenderisch verfahren, dass das bewegliche Kapital des Landes bald nutzlos vergeudet und damit die Hebel des Fortschritts zerbrochen sein werden.“

In der “Theory of Clubs” (1965) und seinen späteren Schriften hat James M. Buchanan das Wicksell‘sche Einstimmigkeitsprinzip in das Zustimmungsprinzip modifiziert. Da es praktisch bei den meisten öffentlichen Angelegenheiten nicht möglich ist, volle Einstimmigkeit über die einzelnen Fragen zu erzielen, stellt das Zustimmungsprinzip einen Ausweg dar, wonach zumindest Einstimmigkeit über die Regeln der Abstimmung erforderlich ist. Die Gemeinschaft gibt sich in diesem Sinne eine „Verfassung“, in der zum Beispiel das einfache oder qualifizierte Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel festgelegt wird oder für spezifische Sachbereiche man Einstimmigkeit fordert.

Der entscheidende Punkt aber bleibt: solange es keine einstimmig verabschiedete Verfassung oder die Zustimmung zu ihr gibt, sind die Beschlüsse über Steuern und Abgaben und deren Verwendung prinzipiell illegitim.

Daraus folgt, dass, so lange wie Verfassungen nicht einstimmig verabschiedet worden sind, der gesamte Apparat der Besteuerung und Staatsausgaben nicht rechtmäßig ist.

Ein Blick auf die Verfassungsgeschichte zeigt, dass diese fehlende rationale Legitimation durchwegs der Fall ist. Dies gilt insbesondere auch für die nach dem Zweiten Weltkrieg gekürten neuen Musterländer der Demokratie und des Rechtsstaats — sei es die Bundesrepublik Deutschland oder Japan. Nicht nur bei den Satellitenstaaten der UdSSR ist die fehlende Verfassungslegitimation offensichtlich gewesen. Nicht die Einstimmigkeit als Legitimationsgrundlage des Verfassungsrechts ist der Ursprung, sondern Gewaltherrschaft in Form der jeweiligen politischen und vornehmlich auch weltpolitischen Konstellation der globalen Machtverteilung.

(modifizierter und ergänzter Beitrag auf der Grundlage des Abschnitts über Besteuerung in “Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik” (KDP 2021).

Dr. Antony P. Mueller
ist seit März 2023 Wissenschaftlicher Beirat der Partei DIE LIBERTÄREN.